Ich habe sie zum ersten Mal am Krakauer Hauptbahnhof im Bereich der Hilfe für Ukrainer getroffen. Sie war mit ihrem Mann zusammen und hielt ein Schild «Lasst uns zwölf Leute nach Deutschland bringen». Sie waren Freiwillige, die mit Transportern humanitäre Hilfe für Ukrainer nach Polen brachten. Sie kehrten nach Deutschland zurück und waren bereit, die Ukrainer mitnehmen. Die Frau hieß Melanie, der Mann — Stefan. Nachhinein verbrachten wir fast eine Woche mit ihnen und ihren deutschen Freunden zusammen. Da bieten wir Ihrer Aufmerksamkeit unser Interview mit Melanie Krawitz an.
— Wann hast du dich entschieden, dich ehrenamtlich zu engagieren?
— Die Ansprache erfolgte durch zwei Freunde, Jürgen und Tomek, dies sich entschieden haben zu helfen, weil Menschen in Not sind und man dies nicht einfach so akzeptieren kann. Wir waren fassungslos als wir die Nachrichten gesehen haben, so viele Kinder in Not. Ich habe selbst drei Söhne und mir immer wieder gesagt, wenn meine Familie in so eine Situation käme, wie die Menschen in der Ukraine, dann wäre ich auch froh, wenn mir Menschen helfen würden. Ja, ich versuche mich immer wieder in unterschiedlichen Situationen ehrenamtlich zu engagieren, sei es im Kinderheim in unserer Nachbarschaft oder einfach jemand, der in Not ist. Ich bin ein Mensch, der Ungerechtigkeit nicht gut verträgt und immer möchte, dass es allen Menschen gut geht. Schicksale berühren mich sehr, manchmal zu sehr.
— Wie hast du angefangen? Welche Schwierigkeiten hatten Sie?
— Eigentlich war dies sehr leicht, jeder den wir angesprochen haben war bereit irgendwie zu unterstützen mit Geld und auch Sachspenden, Medizin, Hygieneartikel, Kindernahrung und auch warmer Kleidung.Viele Menschen kamen zum Helfen ohne das wir sie gefragt haben. Aber auch mit der Bereitstellung von Fahrzeugen für den Transport oder der tatsächlich physischen Hilfe beim Verpacken. Die Bereitschaft zu Helfen war und ist sehr groß.
Das größere Problem war Klarheit zu bekommen, wie wir vor Ort in Krakau die Hilfsgüter an die richtige Organisation übergeben können, sowie was der Prozess ist um Flüchtlinge anzusprechen und Ihnen zu vermitteln, dass wir helfen wollen. Die offiziellen Institutionen waren hier aus meiner Sicht überfordert bzw. stehen noch am Anfang dieser Organisation.
Aber Tomek, einer der Freunde, die mit dieser Initiative an mich herangetreten sind, spricht etwas polnisch und konnte hier einiges herausfinden und somit hatten wir einen Plan.
— Was haben Sie bereits getan und was planen Sie in naher Zukunft umzusetzen?
— Wir haben mit vier Fahrzeugen 3,5 Tonnen Hilfsgüter nach Krakau zur weiteren Verteilung in die Ukraine gebracht. Wir hatten ein freundliches Team – Jürgen, Tomasz, Tine, Jan, Jonas, Andre, Stefan und ich.
Ebenso haben wir direkt zwei Familien mit 6 und 4 Personen mit nach Deutschland genommen, um Ihnen hier eine erste Unterkunft zu geben sowie Hilfe in den ersten Schritten als Flüchtlinge in einem fremden Land mit einer fremden Sprache.
Wir planen auch weiterhin für über die polnische Hilfsorganisation Kontakte zu vermitteln, Menschen in Polen abzuholen, hier in Wohnräume, am besten private, zu vermitteln und bei den ersten Schritten zu helfen, insofern sich die Menschen diese Hilfe wünschen.
Wir sind dabei ein Netzwerk aufzubauen, sowhl für Ukrainer als auch für die Gastfamilien.
— Wie viele Menschen sind in Ihrer Gemeinde? Wer sind sie von Beruf?
— Ich selber betreibe seit Oktober 2020 einen kleinen Laden,die “Krämerei am Markt”. Wir bietenn alle Waren des täglichen Bedarfs an, von Lebensmittel bis zu Körperpflegeartikel. Wobei die Ware im Wesentlichen verpackungsfrei angeboten wird, um den Gedanken der Nachhaltigkeit zu fördern. Parallel dazu betreiben wir ein kleines Café, in dem der Kunde neben dem Einkaufen auch einen Platz zum Austausch und Verweilen finden
— Wie nimmt die deutsche Gesellschaft wahr, was in der Ukraine passiert? Ist die russische Lobby groß in Deutschland?
— Persönlich empfinde ich es so, dass die deutsche Gesellschaft sich sehr mit den Ereignissen der Ukraine auseinandersetzt. Die Angriffskrieg, den Russland führt wird hier nicht akzeptiert, viele Deutsche wünschen sich, dass wir nicht mehr abhängig von Russland sind Z. B. bei der Energiezulieferung und sind bereit, deutliche finanzielle Aufwendungen in Kauf zu nehmen. Die Älteren sehen auch parallelen zu unserer Vergangenheit im 2. Weltkrieg und sind dadurch sehr belastet. Die Jüngeren akzeptieren die Aggression der Russen gegenüber der Ukraine nicht. Daher ist die Hilfsbereitschaft so groß.
Ob die Lobby der Russen in Deutschland von Bedeutung ist kann ich so nicht beurteilen. In meinem persönlichen Umfeld sehe ich und erfahre ich eher, dass sich die Russen auch an der Unterstützung für die Flüchtlinge der Ukraine beteiligen. Im privaten zählt eher der Charakter als die Nationalität. Viele russische Freunde stellen sich als Dolmetscher oder Helfer zu Verfügung.
— Wie hat sich der Krieg in der Ukraine auf das Leben der deutschen Gesellschaft ausgewirkt? Hat der Krieg Ihr eigenes Geschäft in irgendeiner Weise beeinflusst?
— Ich denke die vollen Auswirkungen des Krieges haben wir noch gar nicht gesehen. Aber heute sehen wir direkte Folgen durch den deutlichen Anstieg der Benzinpreise und Energiekosten, auch Lebensmittelpreise sind in den vergangenen drei Wochen explodiert. So liegt der Preis für Benzin und Diesel mit über 2,5€ pro Liter auf einem noch nie da gewesen Höchststand. Für viele ist dies eine hohe finanzielle Belastung, da z.B. grade bei uns auf dem Land jeder auf ein Auto angewiesen ist. Nachrichten über die Schwierigkeiten bei der Sicherstellung bzw. Absicherung der Energieversorgung als Konsequenz der heutigen Abhängigkeit vom russischen Erdöl sowie Erdgas sind sehr beunruhigend.
Aber auch die Abhängigkeit von Deutschland von den Getreideexporten aus der Ukraine werden wir in den nächsten Monaten noch sehen. Ebenso wie von anderen Industrie Importen aus der Ukraine. Kleinigkeiten, wie das die große Fastfoodkette MC Donald heute schon zum Teil keine Coca Cola mehr anbieten kann, weil dies für MC Donald in der Ukraine abgefüllt wird, ist nur ein kleines ggf. unbedeutendes Alltagsbeispiel, wie sich der Krieg auswirkt.
Für mein Geschäft wird dies Auswirkungen haben und hat es schon. Der Anstieg der Kosten bei Benzin, Energie, Getreide etc. wird es einigen meiner Kunden nicht erlauben, wie zuvor bei mir die etwas höherwertigen Produkte zu erwerben. Ebenso kann ich davon ausgehen, dass sich meine Kunden den Luxus eines Kaffees bzw. eines Kuchens oder Essen so in der gleichen Form nicht mehr leisten können, wenn diese Situation längerfristig bestehen bleibt.
Und man spürt auch die Angst, ob sich der Krieg sogar vielleicht bis nach Deutschland zieht.
— Sie haben einer ukrainischen Familie Ihr Zuhause zur Verfügung gestellt. War es schwierig, eine solche Entscheidung zu treffen?
— Nein das war es nicht, ich habe keine Sekunde gezögert dies der Familie anzubieten. Wir waren schon immer ein offenes Haus und ich finde es wichtig auch meinen Kindern zu lernen, dass sie Mitgefühl für ihre Mitmenschen haben- egal welcher Nationalität oder Religion. Für mich und meiner Familie war es und ist es eine Bereicherung. Für mich ist Helfen einfach ein Bestandteil meiner Persönlichkeit und was ich bin. Außerdem durfte ich neue Menschen, eine andere Kultur kennenlernen und dies ist für mich sehr wichtig.
— Welche neuen Dinge haben Sie während Ihrer Hilfe für die Ukrainer entdeckt?
Das es sich erneut zeigt, dass so etwas Schreckliches wie ein Krieg, plötzlich Menschen aller Nationalitäten zu einem Zusammenhalt bewegt. Nichts rechtfertigt einen Krieg nur finde ich es positiv zu sehen welcher Wille zur Hilfe besteht, über sämtliche Nationalitäten, Alter und Bildungsgrade hinweg. Das kann auch immer eine Chance sein und muss als solche genutzt werden. Auf dem Weg nach Krakau haben wir Spanier kennengelernt, die mehrere Tage unterwegs waren um zu helfen, haben Autos aus England, Holland und anderen Ländern gesehen mit demselben Ziel, zu helfen.
Und ich durfte erleben, wie Menschen, die sich vorher kaum kannten, binnen weniger Tage zu Freunden wurden.
Was mich am meisten getroffen hat, das viele geflüchtete bis vor drei Wochen ein völlig normales Leben gehabt haben, zur Schule zur Arbeit gegangen sind, Freunde getroffen. Und von einem Tag Auf den anderen ist alles anders. Die Menschen wurden ihres Lebens und ihrer Heimat beraubt. Das ist was uns allen so nah geht. Es fühlt sich an, als könnte jeder von uns Ukrainer sein.
Maksym Rozenko
